Vergessene Kinder

Ein farbiger Junge steht am Strand und schaut übers Meer. Susanne fragt ihn, ob er an seine Heimat denkt. Er dreht sich um und lächelt sie nur an, versteht kein Englisch. Dann kommen noch zwei, eine weitere Gruppe und plötzlich stehen fünfzehn junge Männer aus der halben Welt um uns herum. Händeschütteln zu Begrüßung, reihum, fast lauter strahlende Gesichter, manche haben Mützen mit der Aufschrift Italia.

„Wo kommt ihr her?“ „Deutschland.“ „Das ist ein wunderbares Land, da will ich auch hin.“ „Die spielen toll Fußball, Bayern München, Franck Ribery und Thomas Müller und der Torwart, wie heißt er?“ „Manuel Neuer.“ „Ja, genau.“ „Özil ist auch gut.“ „Der spielt in England, bei Arsenal.“ „Ich mag auch Juventus, und Inter.“ „Magst Du auch Fußball?“ „Mir gefällt Biathlon besser.“ „Was ist das?“ „Laufen im Schnee und schießen.“ „Das haben wir im Fernsehen gesehen, da sind die Deutschen auch gut.“

„Wo kommt ihr her?“ „Niger.“ „Ghana.“ „Bangladesch.“ Wir können uns die vielen Staaten gar nicht merken. „Ihr wohnt hier?“ „Ja, insgesamt 150 und zu zehnt in einem Zimmer.“ „Kommt ihr gut aus miteinander.“ Alle strahlen: „Ja, klar.“ „Kümmert sich jemand um Euch?“ „Nein, sie bringen das Essen zwei Mal am Tag und fahren wieder.“ Könnt ihr selbst kochen?“  „Nein, sie bringen das Essen ja jeden Tag.“ „Habt ihr eigenes Geld?“ „Nein, die nehmen das Geld und wir haben keinen Cent.“ „Könntet ihr von hier weg?“ „Ja, aber wir haben ja kein Geld.“ „Wie geht es weiter?“ „Ich weiß es nicht.“

„Ich heiße Esna und komme aus Gambia. Das ist ein schönes Land, die Touristen sind alle begeistert.“ „Wie alt bist Du denn?“ „Sechszehn, ich vermisse meine Mama so sehr.“ „Kannst Du mit ihr telefonieren?“ „Nein, ich habe kein Handy, vor ein paar Wochen konnte ich sie einmal anrufen, seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört.“ „Wo willst Du denn hin?“ „Vielleicht in die Schweiz, Norwegen wäre auch gut.“

„Wie heißt Du?“ „Mohammed.“ „Wo kommst Du her.“ „Niger.“ „Möchtest Du wieder zurück, wenn Du kannst?“ „Nein, das geht nicht. Jeden Tag kommen sie und töten, Tag und Nacht.“ „Hast Du Familie?“ „Zwei Geschwister sind an Ebola gestorben, mein Vater ist auch tot. Meine Mutter lebt noch, aber ich kann ihr nicht helfen.“ „ Wie alt bist Du, Mohammed.“ „Siebzehn.“ „Wie bist Du nach Italien gekommen?“ „Durch Libyen, da haben sie auf uns geschossen. Wenn sie uns sehen, schießen sie einfach.  Ich habe einige sterben sehen. Am Boot sind auch einige gestorben.“ „Was möchtest Du denn tun?“ „In die Schule gehen.“ „Kannst Du das hier nicht?“ „Nein, im Dezember sagen sie im Januar, jetzt sagen sie im Februar. Ich will wenigstens arbeiten, ganz gleich was, für 10,- € am Tag. Aber es ist immer nur schlafen und essen, schlafen und essen.“ Das wiederholt er zehn, zwanzig Mal, Tränen stehen in den Augen. „Wenn ich Geld habe, gehe ich zurück. Mein Vater hatte ein großes Grundstück, aber kein Geld. Dann bist Du Nichts. Dann hole ich das Grundstück zurück. Für meine Mutter kann ich jetzt nichts tun.“ Wir schweigen, schauen uns an. „Warum sind die Menschen nur so? Ich will doch nur zur Schule oder arbeiten.“

Nach und nach gehen sie zurück in ihre Unterkunft. Sie bedanken sich höflich, für was? Wir schütteln Hände, Gott möge uns beschützen. Wir stehen da, tief getroffen, hilflos, verärgert über diese Welt, dieses Europa, froh, in Deutschland leben zu dürfen. Am nächsten Tag fahren wir weiter, in Richtung Deutschland, die Hoffnung dieser jungen Männer, die alle fast noch Kinder sind.

2 Gedanken zu “Vergessene Kinder

  1. Hallo, Reisende .. . sehr schöner Bericht, der auch nachdenklich stimmt. Gut so! Das brauchen wir in der gegenwärtigen Zeit. … ´hätte nie gedacht, dass ich sowas mal sagen würde / müsste.

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  2. Was Ihr erlebt und so berührend geschildert habt, ist nur die Spitze eines Eisberges. Was wird aus all denen, die nichts weiter als ein bescheidenes, aber friedliches Leben wollen und die niemand mehr beachtet?….

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