16. August 1943

Im Dorf KOMMENO sind wir heute die einzigen Besucher, auch zu anderen Zeiten werden sich hierher wenige Touristen verlaufen. Der Ort liegt in der sumpfigen Ebene an der Mündung des ARACHTHOS in den GOLF VON AMVRAKIKÓS und ist umgeben von Orangen- und Olivenhainen. Am Ortseingang steht ein Glockenturm ohne Kirche, daneben ein schlichter Würfel mit den deutschen Worten: Freiheit – Frieden – Hoffnung – Zukunft. Dies ohne Erläuterung. Auf dem Dorfplatz steht ein Marmordenkmal mit 317 eingemeißelten Namen, dahinter das Alter. Es scheint ein übliches Kriegerdenkmal aus den Weltkriegen sein. Doch hier geschah etwas anderes, ein unvorstellbar grausames Massaker an unschuldigen Menschen.

Es ist 1941, italienische Soldaten besetzen das Gebiet, ein Zöllner ist im Ort stationiert und arrangiert sich mit der Bevölkerung. Schwarzmarkthändler von den Ionischen Inseln tauschen Nahrungsmittel mit den Bauern. Anfang 1943 tauchen Andarten, griechische Partisanen, auf, um Nahrungsmittel zu beschlagnahmen. Die Italiener stört das nicht weiter. Doch anders am 11. August 1943. Wieder kommen die Andarten und sammeln Nahrungsmittel ein. Doch plötzlich kommen ein paar Deutsche im Kübelwagen auf Erkundungsfahrt ins verschlafene Dorf. Kaum sehen sie die Partisanen mit ihren Waffen, machen sie kehrt und fahren zurück. Die Menschen bekommen Angst, doch die Italiener beruhigen sie. Das Fest Mariä Himmelfahrt am 15. August feiert man wie immer mit Gesang und Tanz.

Am selben Abend werden die jungen Männer des 98. Regiments der 1. Gebirgs-Division, einer Elite-Division, die meisten zwischen zwanzig und zweiundzwanzig Jahre alt, aus den Zelten gerufen. Der Regimentskommandant Oberstleutnant Josef Salminger spricht kurz zu den Wehrpflichtigen: Deutsche Soldaten seien getötet worden und es sei höchste Zeit, hart gegen die Partisanen vorzugehen.

Etwa 100 Männer der 12. Kompanie rücken vor Tagesanbruch aus. Oberleutnant Willibald Röser, Mitte 20, gibt den Befehl aus, dass „alle niedergemacht werden müssen“. Sie umstellen das Dorf und geben mit zwei Leuchtraketen das Signal für den Angriff. Das Feuer wird seltsamerweise nicht erwidert, es sind keine Partisanen im Dorf. Die Truppe meldet auch keine Verluste. In den Häusern schlafen die Menschen noch, wer zu fliehen versucht, wird von den Wachposten am Ortsrand getötet. Die einzige nicht gedeckte Fluchtroute ist der Fluss. So überlebt zumindest die Hälfte der Einwohner. KOMMENO bietet nach sechs Stunden der totalen Verwüstung einen albtraumhaften Anblick und es herrscht eine schaurige Stille. 317 Dorfbewohner sterben, einige durch die „Gnadenschüsse“ von Offizieren. Die Opfer reichen von der einjährigen Alexandra Kritsima bis hin zur 75 Jahre alten Anastasia Kosta. Unter den Toten befinden sich 74 Kinder unter 10 Jahren und 20 vollständige Familien. Dann wird die Beute, Vieh, Wollsachen, 6 ital. Karabiner, 1 ital. MP, auf LKW geladen, mehrere Soldaten nehmen mit, was sie finden. Als die Soldaten abfahren, stehen alle Häuser des Dorfes in Flammen. Auch die Kirche ist zerstört, Rössler selbst hatte zu Beginn des Angriffs den Dorfpriester erschossen, der mit ihm sprechen wollte.

Die Nachricht der 1. Gebirgs-Divison an die Vorgesetzten in Athen lautet:

„Ergebnis Säuberungswelle Kommeno:

150 Feindtote, einige Stück Vieh, Handfeuerwaffen ital. Herkunft. Bei Abbrennen der Ortschaft Explosion von großen Munitionsmengen. Ergebnis dieser Aktion bestätigt erneut Ansicht und Meldung der Div, daß sich am Ostufer v. Arta starkes Bandenzentrum befindet, darunter stärkere Bandengruppen.“

Salminger geriet am 1. Oktober in einen Hinterhalt der Partisanen und wurde erschossen. Der Kommandeur des Gebirsgjäger-Regiments, Reinhold Klebe, wurde nie zur Verantwortung gezogen. Im August 1956 wurde er Kommandeur eines Gebirgsjägerbataillons und Standortältester der Bundeswehr in Mittenwald. Im März 1969 vorzeitig aus der Bundeswehr entlassen, setzte er sich nach Argentinien ab. Von 1973 bis 1975 war er Militärberater in Taiwan.

Quelle: Mark Mazower, Griechenland unter Hitler, Das Leben während der deutschen Besatzung 1941 – 1944 (siehe auch unter „Bücherkiste“)

5 Gedanken zu “16. August 1943

  1. Heftig. Und ich habe mal einen kennengelernt, der dabei war … . Ich habe es in seinen Aufzeichnungen gelesen. ER ist inzw. verstorben und war damals 20 Jahre alt. ER war bei den Truppen dabei, die mordend, plündernd und „säubernd“ als Erstes andere Staaten überfallen hatten.
    Es ist schade, wie das alles allmählich in Vergessenheit gerät.
    Euer Ausflug in die Vergangenheit eines kleines Dorfes ist ein wichtiges Stück unbearbeitetes Geschichtskapitel.
    Es ist an uns, es in den Köpfen am Leben zu halten.
    Danke, für den Beitrag, so bedrückend das Thema auch ist.
    vg Francis

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    • Wie sagte unser Altbundeskanzler Helmut Schmidt einmal: Es geht nicht (mehr) um die Schuldfrage, vielmehr und das Geschichtsbewusstsein zu erhalten. Darum geht es auch mir. Es ist nur ein zeitlicher Wimpernschlag. Wie es eskalieren kann, sahen wir in den ehemaligen jugoslawischen Ländern.

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  2. Leider haben gerade die Griechen daraus nichts gelernt und wenig später im „Griechischem Krieg“ zehntausende von Griechen ermordet. Ganze Landstriche entvölkert. Teilweise mit Napalm. Leider wurde hier vergessen, entsprechende Gedenkstätten zu errichten. Aber damit wäre auch kein Geld aus Deutschland zu holen.

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    • Der griechische Widerstand wurde v.a. durch die linke EAM/ELAS getragen. Deren Mitglieder wurden nach der Besatzung von der Regierung, mit Unterstützung Großbritanniens und der USA verfolgt (aus Angst vor der dem Kommunismus, gefoltert, eingesperrt und getötet. Die rechte Gruppierung der EDES, die mit den Deutschen kollaborierte, gewann ein Einfluss und übernahm wichtige Posten in Regierung und Armee. Eine Aufarbeitung der Ereignisse fand bis heute nicht statt.

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  3. Ja, ist schon manchmal komisch, was sich die Länder dabei denken, „nur“ bei den angeblich reichen Ländern anzulopfen. Ihre eigene Geschichte und damit begangenen Verbrechen am eigene n Volk sollten sie genauso in Erinnerung halten, wie die Verbrechen der Nationalisten. Ähnlich ist es in Spanien, deren Franco bis in die 70er Jahre aktiv war. Ein Kollege (stammte aus Spanien) von mir war davon insofern betroffen, dass dessen Vater einsaß, weil er mal laut seine Meinung kund tat.

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