STARENWOLKEN

Das Wetter dreht sich, es wird herbstlicher: dicke graue Wolken ziehen über den Himmel, nur manchmal reißt der Wind eine Lücke für die Sonne und immer öfter regnet es. Wir verlassen das bunte BOSA und fahren ein paar Kilometer durch einsame Felder mit ein paar verstreuten Schafherden darauf zu einem unserer Lieblingsplätze in Sardinien: dem TORRE FOGHE, hoch über dem Meer.

Bei dem Wetter ist wieder viel Zeit zum Lesen. Wie meist auf unseren Reisen, lesen wir auch die Schriftsteller des jeweiligen Landes. Hier auf Sardinien ist es Grazia Deledda, die als zweite Frau 1926 den Literaturnobelpreis erhielt. In ihrem Roman „Schilf im Wind“ beschreibt sie das Leben von vier verarmten Schwestern, die von einem Knecht fürsorglich versorgt werden. Deledda stammt aus einem bürgerlichen Haus und zog mit ihrem Mann nach Rom. Aus dieser gesicherten Position heraus verklärt sie das Leben in der damaligen Zeit. Ganz anders Gavino Ledda. In der Autobiografie „Padre Padone“ beschreibt der 1938 geborene Schriftsteller sein Leben. Mit fünf Jahren kommt er in die Schule. Doch sein Vater holt in bereits nach vier Wochen zu sich auf den Schafspferch. Von nun an hütet er die Schafe, arbeitet bis zum Umfallen auf den Feldern des tyrannische Vaters, der in mit schlimmen Prügeln das Leben eines Hirten einbläut. Mit 20 Jahren kann Gavino seinem Vater entfliehen, indem er sich freiwillig beim Militär meldet. Da man hier unbedingt Soldaten braucht, nimmt man den zu kleinen, nur 1,59 m großen, Bewerber, der zudem Analphabet ist und nur Sardisch, kein Italienisch, spricht. Doch mit eisernen Willen schafft er es sogar bis zum Unteroffizier. Später kehrte in sein Heimatdorf Siligo zurück und besteht mit 26 Jahren am Gymnasium die Reifeprüfung. Danach begann er ein Philologie-Studium in Rom, wo er auch 1969 promovierte. Heute lebt er als freier Schriftsteller und Bauer in seinem Geburtsort.

Für einen Tag scheint sich das Wetter etwas zu beruhigen. Vielleicht wird ja noch was aus der schon seit einigen Tagen geplanten kleinen Wanderung. Die Wolken ziehen zwar immer noch schnell nach Osten, doch die Berge scheinen frei zu sein. Durch weite Olivenhaine fahren auf hinauf auf 950 m ü.d.M. zum RAI-Fernsehsender BADDE URBARE, mitten im größten erloschenen Vulkanmassivs Sardiniens, dem MONTE FERRU. Die kleine Runde führt auf Pisten zum höchsten Gipfel, dem MONTE URTIGU mit 1050 m ü.d.M. Zügig ziehen die Wolken über die kahlen Bergkuppen und reißen der Sonne hie und da ein kleines Loch. Dann leuchtet die Landschaft nach dem herbstlichen Regen im satten Grün. Die Erdbeerbäume blühen, die reifen und gut schmeckenden Früchte hängen noch rot leuchtend in den Zweigen. Die ersten Gänseblümchen recken ihre gelben Köpfe in den Himmel. Weit reicht der Blick unter der grauen Wolkenschicht: CUGLIERI wird von einem Sonnenstrahl beschienen, ebenso SANTU LUSSURGIU, das über der fruchtbaren Ebene des TIRSO thront.

Die Nacht verbringen wir an der römischen Therme FORDONGIANUS am TIRSO. Hier strömt 540 C heißes Wasser in den Fluss. Leider hat dieser viel zu viel Wasser, als das die warmen Quellen in ein wenig erwärmen könnten.

Nach einem kurzen Aufenthalt in ORISTANO, wir besuchen einen Waschsalon, fahren wir auf die schmale Landzunge von THARROS und finden vor dem kleinen Kirchlein SAN GIOVANNI DI SINIS einen windgeschützten Platz. Erbaut wurde das älteste Gotteshaus Sardiniens bereits im 5. Jh. im byzantinischen Stil, Benediktinermönche bauten es im 11. Jh. romanisch um. Wegen den Regenschauern und dem starken Wind verschieben wir die Besichtigung der römischen Ruinen auf morgen.

In der Nacht hat es geblitzt, gedonnert, heftig geregnet und gehagelt, ein wahres Trommelfeuer ging auf unseren Dicken nieder. Am Morgen sind die blauen Lücken größer als gestern und wir machen uns auf den Weg. Doch schon beim mächtigen TORRE DE SAN GIOVANNI müssen wir uns unterstellen. Der Regenschauer ist nach ein paar Minuten durchgezogen und die Sonne schafft ab und zu ein paar helle Flecken auf dem Meer und in der grünen Macchia, in der sich schon die ersten Blüten zeigen. Bis zum Leuchtturm am CAP SAN MARCO bleibt es trocken, doch die nächste Regenfront mit Blitz und Donner folgt. Ein gemauerter Unterstand gibt etwas Schutz. Und fünf Minuten später scheint schon wieder die Sonne. Die Ausgrabung von THARROS sind auch von außen gut zu sehen. Schon in der Steinzeit war der Ort besiedelt, dann kamen Phönizer und Römer. Im 11. Jh. hatten die Einwohner genug von den Sarazenenüberfällen. Sie rissen ihre Häuser ab und nahmen das Baumaterial mit nach Oristano.

Den Nachmittag schauen wir den Abertausenden von Staren zu, die in immer neuen Formationen über unseren Köpfen hinwegbrausen. Beliebt sind die gegenüberliegende Stromleitung und die großen Wasserpfützen vor unserer Haustüre.

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