Gegen 5 Uhr wird es langsam hell, gegen 6:30 Uhr laufe ich los, immer noch mit ziemlich schweren Beinen. Doch kaum eine halbe Stunde später stehe ich auf der Kammhöhe. Von hier ist der Blick in die SEXTENER DOLOMITEN grandios, alle Müdigkeit ist auf einmal verschwunden. Den ganzen Tag über genieße ich die einmaligen Sicht in diese pittoreske Bergwelt, bizarr recken sich die Felsnadeln und Türme dieses Gebirges in den Himmel. Von hier sind es nur noch ein paar Schritte zum HELM, dem westlichsten Gipfel der KARNISCHEN ALPEN, und dem leider verfallenen HELMHAUS. 1889 von der Alpenvereinssektion Sillian als Schutzhütte erbaut, ging es nach dem Ersten Weltkrieg in italienischen Besitz über. Erst wurde es militärisch genutzt, dann diente es bis 1980 den Zöllnern. Seitdem steht es leer und verfällt zusehends. Es bestehen zwar Pläne für einen Neubau, aber leider findet sich kein Finanzier.
Der Weg zur SILLIANER HÜTTE ist breit, gemütlich und aussichtsreich. So kann ich unbeschwert den Blick schweifen lassen ohne auf meine Beine schauen zu müssen. An der erst 1986 eingeweihten Berghütte sind die Handwerker schon seit Stunden lautstark am Arbeiten. Nächstes Jahr soll sie im neune Glanz den Wanderern wieder zur Verfügung stehen.
Der weitere Weg führt über Wiesenhänge rauf und runter. Immer wieder muss ich Pause machen und stehen bleiben um diesen Rundumblick einzufangen (oder sind es die gestrigen Höhenmeter, die mir immer noch in den Knochen stecken?). Der erste Hügel, der im Wege steht, ist das HORNISCHEG, immerhin 2550 m hoch. Unterhalb des runden Gipfels stehen die Ruinen der österreichischen Stellungen. Auch auf dem weiteren Weg sind fast überall die Reste der Schützengräben zu sehen. Ich machen einen kleinen Abstecher zur HOLLBRUCKER SPITZE, spare mir aber die Kraxelei über die letzten Meter. Mit der hochsteigenden Sonne frischt der Wind sogar etwas auf, ein paar Wolken spenden ab und zu Schatten. So ist die Temperatur fast angenehm frisch.
Ein paar Meter tiefer liegt der herzförmige HOCHGRÄNTENSEE. Hier am Joch befand sich eine Stellung der österreichisch-ungarischen Soldaten. Im Sommer 1915 griffen die Italiener an. Vier Standschützen (Mitglieder einer seit dem 15. Jahrhundert bestehende Schützengilde, die sie sich früher freiwillig für den militärischen Schutz Tirols verpflichteten) fanden hier, im höchstgelegenen Kriegerfriedhof Mitteleuropas, ihre letzte Ruhestätte.
Ich schleiche über den DEMUT, was meiner Verfassung entspricht, bis unter den Gipfel des EISENREICH. Und dann ist endlich die OBSTANSERSEEHÜTTE zu sehen. Sie liegt malerisch an dem grün leuchtenden See, darüber türmt sich hoch die PFANNSPITZE auf. Die 350 Höhenmeter hinunter lassen sich wieder etwas zügiger laufen. Ich nehme einen großen Schluck frischen Wassers aus dem Bach, lege mich in die Wiese und schlafe genüsslich ein. Für das Zelt finde ich etwas oberhalb der Hütte einen weichen und ruhigen Wiesenplatz. Ein paar Regentropfen fallen, der Himmel überzieht sich mit grauen Wolken, das angekündigte Gewitter bleibt Gott sein dank aus.